23.12.2020
T: Bald knacke ich die 100.000 Worte mit diesem Projekt. Mein Schreibprogramm blendet mir das wortgenau in der Fußzeile ein. Für 178.000 Worte im ersten Drachenkind habe ich SIEBEN Jahre gebraucht statt acht Monate ...
M: Wie du schon oft sagtest, hattest du damals auch keinerlei Wunsch oder Plan, diesen Roman jemals zu veröffentlichen.
T: Im Nachhinein ist das alles immer ziemlich lustig. Die Annahmen, die man hat. Die Gedanken, die man zu einem Projekt hat – oder eben nicht. Ziemlich fies, dass ich erst nach der Geburt meines Sohnes so richtig begriffen habe, dass ich Autorin sein möchte. Denn wann hat man weniger Zeit für sich und seine Hobbys als mit einem Baby?
M: Kinder haben allerdings einen faszinierenden Vorteil: Sie öffnen dein kreatives Chakra. Eine Geburt ist nicht nur deshalb heilig, weil du eine Seele auf die Erde holst, sondern auch deshalb, weil der Akt der Geburt einer der schöpferischsten Vorgänge im Universum ist. Ein Patriarchat hört das nicht so gerne, aber das Faktum bleibt: Es ist eine GOTTGLEICHE Fähigkeit, ein Lebewesen zu erschaffen. Ein Kind beweist dir unumstößlich, dass du eine Schöpferin bist.
Und weil das im Moment ein sehr großes Thema auf eurem Planeten ist: Es ist egal, ob du dir zwischenzeitlich einen Bart hast wachsen lassen und das Schauspiel des Lebens auf den wesentlich trittfesteren Brettern eines Mannes weiterführen möchtest, ein Schöpfer kannst du doch sein. Und selbst wem das körperliche Schöpfen verwehrt bleibt, weil Seele und Seele sich als Frau/Frau oder Mann/Mann treffen oder weil ihr Körper aus anderen Gründen kein Lebewesen (mehr) herstellen kann oder möchte: hegen, pflegen und erziehen könnt ihr immer noch, was eine andere geboren hat. Auch dies ist eine heilige Aufgabe und steht der Zugehörigkeit über Blut in nichts nach. Vielleicht ist dir schon einmal aufgefallen, dass keine wahre Gottheit nach deiner Ahnenreihe fragt. Es ist einfach nicht wichtig. Wir wissen bereits, wer du bist. Tausendmal besser, als du es selbst weißt. Wer dich ausgebildet hat – das hat Relevanz. Wem du dich zugehörig fühlst – das hat Relevanz. Wo DU deine Heimat verortest, welche Rituale du pflegst und wofür du deinen Willen einsetzt – all das formt dich.
Dein Blut formt nur die Anteile in dir, die so verlaufen sollen. Wenn du dir leibliche Eltern aussuchst, die beide Bluter sind, weil dein erLEBEN dies enthalten soll? Bitteschön. Dort endet die grundlegende Verbindung. Es gibt noch viele weitere Themen, zum Beispiel die getriebene Suche nach denen, die dich körperlich ermöglicht haben, aber darum soll es uns heute nicht gehen. Man könnte Bücher mit den Lektionen aus solchen Seelenkonstellationen füllen, und andere tun dies fleißig.
Der Kern bleibt: Mit nichts schöpfst du so vollendet und nachhaltig wie mit einem kleinen Menschen, den du zu einem hoffentlich glücklichen, umsichtigen und fest verwurzelten Erwachsenen erziehst. Hoffentlich für ihn, nicht für uns.
T: Ich finde es spannend, wie gut die Sprache dem Umstand Rechnung trägt, dass unsere Papier-, Leinwand- oder Tonschöpfungen auch unsere »Kinder« sind. Wir sagen wie ich finde nicht ohne Grund, dass wir »mit einer Idee schwanger gehen«, im Englischen gibt es das »Brainchild« (Gehirn-Kind) und unzählige Autoren sagen von sich selbst, dass ihre Bücher ihre Kinder sind.
M: Das Verfahren ähnelt sich ja auch stark. Du hast die Idee für ein Kunstwerk vielleicht jahrelang im Kopf und fängst es schließlich an, was man als die eigentliche Schwangerschaft bezeichnen könnte. Der Schaffenszeitraum beträgt zwar recht selten 9-10 Monate, aber die seelischen und körperlichen Turbulenzen können sich oft messen!
T: Oh ja. Und erst die Phasen, wo nichts mehr so recht vorangehen will. Uff!
M: Der Vorteil der Menschen ist, dass sie willentlich ein Projekt beginnen können und die ersten Pinselstriche, Töne und Sätze manifestieren können. Der Nachteil des menschlichen Willens ist, dass sie willentlich ein Projekt beginnen können und ...
T: [lacht.]
M: Ein kleiner Mensch bestimmt zu einem beachtlichen Anteil selbst, wann er das Licht der Welt erblickt. Deshalb gibt es auch keine Phasen, in denen der Fötus einfach mal vier Monate nicht wächst. Eine übers Knie gebrochene Geschichte hingegen ... die kann sich schon mal eine forcierte Auszeit nehmen, wenn ihre Zeit noch nicht gekommen ist. Und deshalb solltet ihr immer das gerade dann schöpfen, wenn es euch am meisten unter den Nägeln brennt.
T: Ich fühle mich persönlich angegriffen. »Ghomon & Gorgonn« [Elfisch für »Der Mann und sein Monster«], die geplante Kurzgeschichte aus der Drachenkind-Welt, hätte im Frühjahr 2020 auf den Markt kommen sollen. Haha. Die Story ist immer noch nicht fertig, das Cover aber schon.
M: Die Elfen haben, genau wie der Rest von uns, ihre eigenen Gründe, warum was wann stattfindet. Aus meiner Warte kann ich nur sehen, dass das genaue Beschreiben der Arbeit der Elfenspione dir für das Hauptwerk bedeutend weitergeholfen hat. Der Rest ist, wie mir scheint, ziemlich optional – und das inkludiert eine Veröffentlichung.
T: Ja super.
M: Hey, immerhin sagt es dir jemand.
T: Bisschen spät!
M: Du hast nicht früher gefragt. Und mich brauchst du gar nicht weiter dazu befragen. »Barking up the wrong tree«, wie die Angelsachsen so wunderbar sagen.
[Timer abgelaufen.]
T: Ich habe nicht das Gefühl, dass wir meine Blockade beim Erfolg annähernd beseitigt haben. Es kommt mir so vor, als verschwenden wir unsere letzten Tage.
M: Erstens: Es sind nicht unsere letzten Tage. Wir haben einen neuen »Vertrag«. Und zweitens: Das kommt tatsächlich nur dir so vor. Andere werden ihre Juwelen in unseren Worten schon finden. Bis morgen.
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