17.08.2020
TRIGGER WARNUNG – SELBSTMORD
H: Andauernder Zorn ist ein sehr hartes Brot. Und selbst wenn es am Anfang noch deiner war, dann wird die ganze Sache in dem Moment so richtig unheilig, wenn es auch dein Beruf ist, anderer Leute Zorn in gewisse Bahnen zu lenken. Du hast über diesen Umstand viel nachgedacht, seit sich dieser Mann [Linkin Park Sänger Chester Bennington] selbst getötet hat. Er war endlich bereit, diese tonnenschwere Last abzusetzen ... aber seine Fans ließen ihn einfach nicht.
Kannst du dir vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn die schwarzen Flügel des Zorns, die von mir geliehen hast, nicht mehr deinen eigenen Zorn repräsentieren?
Ja, Singen war sein Weg der Heilung – und Millionen Menschen konnten durch seine Stimme ihre eigene Rage in Worte fassen und verarbeiten. Er war wie ein wohlmeinender Blutegel, der den unendlich brennenden Druck aus deinen Adern saugen konnte. Bitte entschuldige das krude Bild. Aber lass uns zu dem Mann zurückkehren.
Ich sagte dir, dass du etwas anderes wirst, wenn du von mir leihst. Nicht sofort, aber mit der Zeit. Denn ich sage es noch einmal: Du musst mir zurückgeben, was ich dir gewähre. Je schneller, desto besser. Nun hatte mich Chester beinahe sein ganzes Leben lang an seiner Seite. Das alleine ist schon traurig genug. Aber er musste zudem vor jedem Konzert Hand an mich legen und meine Kraft gebrauchen – oder im Grunde missbrauchen – denn dann wurde die Show fantastisch und war voller Energie!
Dann floss echter Hass von einem echten Mann auf einer echten Bühne. Ich kann ihn dafür nicht im geringsten verurteilen. Aber stell dir vor, wie er zu mir kam – wissen, dass er nun wieder zu einem Leuchtturm des Hasses werden muss; das Schauspiel starten muss ... selbst wenn er Momente vorher sein Neugeborenes zum ersten Mal im Arm gehalten hatte.
Wenn er sich gerade vollkommen glückselig fühlte. Zufrieden. Freudig.
Die Momente, die er sich am sehnlichsten wünschte – die fröhlichen – wurden beschnitten, weil der Hass sein Anzug, Gesicht und Geschäft geworden waren.
[Die Harpyie schnieft einige Male.]
T: Also kann eine Harpyie weinen ...
H: Warum sollte ich die Trauer nicht kennen? Sowohl Hass als auch Trauer sind bodenlose Löcher und somit eine traurige Realität in meinem Verantwortungsbereich.
Und dann, als er endlich genug von dem permanenten Hass hatte und sich auch an anderer Musik versuchte ... fraßen ihn seine Fans bei lebendigem Leib. Denn »Gottverdammt nochmal, wie kannst du es wagen, Heilung zu erfahren, während meine Seele weiter schmerzt?«
T: Ich habe das gerade nochmal nachgelesen ... An einem Punkt gab es wohl deutliche Alarmzeichen, dass er sich entschlossen hatte, sich das Leben zu nehmen. Aber niemand hörte mehr darauf, weil die seelische Havarie fast schon sein Normalfall war.
H: Die Sache ist die: Während dich der Selbstmord NIEMALS deinen Platz im Paradies kosten wird, ist er doch nicht deine einzige Option. Das ist NIEMALS die einzige Option. Niemals. Der Sänger hätte beispielsweise Frau und Kinder nehmen können und vollständig von der Bildfläche verschwinden können. Er wäre niemals mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Ich weiß, diese Erkenntnis ist nicht gerade bahnbrechend. Und ja, die Krankheit [Depression] folgt dir, wohin du auch gehst ... aber er hätte eine echte Chance gehabt.
Die hätte er sich mehr als verdient gehabt, meinst du nicht?
T: Das hätte er. Ich danke dir, meine liebe Freundin. Vielen vielen Dank für deine Sicht auf diese Dinge.
[Ich bin bekennender Fan der Band Linkin Park. Niemals hat mich also die Nachricht eines VIP-Selbstmords härter getroffen, denn ich zähle mich selbst zu den Millionen Menschen, die durch Chesters Musik zur Ader gelassen wurden. Ich beteilige mich für gewöhnlich nicht an Diskussionen, welcher Celebrity mit wem oder nicht oder warum. Ich kenne diese Menschen doch gar nicht persönlich. Aber die Harpyie muss gespürt haben, dass es nicht nur für mich gut wäre, ihre Sichtweise zu hören.]
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