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Lillysander über Arbeit


[Längere Szene in einem Versicherungs-Callcenter wird beschrieben mit herumschreiendem Chef, den manche insgeheim "den dicken Fisch" nennen. Der Aspekt der Liebe ist schockiert, dass Menschen hier dazu angehalten werden, das Gesetz zu biegen, um Versicherungen zu verkaufen. Die Protagonistin ist aus diesen Leben ausgebrochen und hat sich ihrem Traum vom Autorinnendasein erfüllt.]


Ich wende mich von dem Gespräch ab und schaue in dem riesigen Büro umher. Um mich herum stehen und sitzen viele Frauen und auch ein paar Männer und bewegen Papier. Das ist also Arbeit? Oder vielmehr: Das ist aus der Arbeit geworden? Wenn ich in die Augen der Menschen direkt in diesem Raum sehe, dann kann ich bis auf ihre Seelen hinunterblicken. Und was ich dort sehe?


Ich sehe sie stehen, knietief in einem Meer aus Asche. Sie haben Schaufeln in der Hand, jeder einzelne. Und sie schaufeln diese Asche hin und her, die durchsetzt ist von Papierfetzen und Zahlen. Sie schaufeln sie von rechts nach links und von links nach rechts. Es bricht mir das Herz. Jeder einzelne steht hier, dicht am nächsten. Hat seine Träume auf später verschoben oder schon lange ganz unter dieser unbarmherzigen Asche begraben. Hat seine Kinder in ein nett gemeintes, aber nicht immer nett gemachtes System gegeben und huldigt dem, von dem er dachte, er würde ihm nie verfallen: dem krebsartigen Wachstum eines Systems, dessen Gier schon fast den gesamten Planeten verschlungen hat. Wer strauchelt und fällt, den schluckt das unbarmherzige Grau. Der wird eingeschaufelt, weil die anderen nicht anhalten dürfen, manche gar nicht mehr anhalten können. Der wird vergessen. Der verblasst.


Ich stolpere rückwärts aus diesem Schreckensbild heraus, raus aus dem Büro und zurück in das Café. Dort sitzt meine Autorin, ruhig und gelassen an ihrem alten Rechner. Und sie lächelt. Ein kleines, verschmitztes Lächeln, das die Welt bedeutet. Das Lächeln, das sagt: Nein, ihr Fische habt noch nicht gewonnen. Nicht, so lange es solche wie mich gibt. Solche, die ihre Träume nicht weiter aufschieben. Die sich mit so wenig zufriedengeben, um so viel in sich selbst zu erreichen. Die irgendwann innehalten in dem Meer aus Asche und sich umsehen. Die ein paar Schritte aus dem Graben der anderen klettern, die Schaufel aus der Hand legen, auf die Knie sinken und beginnen, mit neuer Farbe in den Augen und mit aufgestellten Fingernägeln zu graben.

Und die schließlich – weit abseits der anderen – Schätze heben.

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